Nein, er ist nicht gemeint! Der Nandu errreicht eine Geschwindigkeit von bis zu 70 Km/h. Und auch die Guanakos, denen wir auf unserer Reise oft begegnet sind, können, wenn sie auf der Flucht sind, 50 - 60 Km/h schnell laufen.
Es ist unser Wagen, der Blaubärt, der offensichtlich meint, uns einen Streich spielen zu müssen.
Aber der Reihe nach ...
Wenn man sich so durch Argentinien bewegt, könnte man beim Anblick vieler Fahrzeuge durchaus zu dem Schluss kommen, dass bei uns in Deutschland die Notwendigkeit mancher Anbau- und Zubehörteile deutlich überbewertet wird.
Dabei sind es nicht fehlende Zierleisten, Spiegel oder Blinker, die ins Auge springen - das gibt es bei uns auch. Und auch ohne Stoßstangen lässt es sich sicherlich gut fahren, wenn es nicht gerade die Fahrt zu einem deutschen TÜV ist.
Aber wenn die Motorhaube nur noch mit Expandern am Wagen gehalten wird oder ganz fehlt, die Windschutzscheibe nach diversen Steinschlägen mehr an ein Spinnennetz erinnert denn an eine Scheibe oder die eine oder andere Karosserie schon mal durch einen Holzbalken "verstärkt" wird (rostet wenigstens nicht durch) - dann bleibt der (deutsche) Blick schon mal daran hängen.
Aber von diesen Exemplaren abgesehen, begegnen uns hier auch ganz viele toll erhaltene Oldtimer und für uns exotische Fahrzeuge im Alltagsbetrieb.
Hiervon scheinbar beeindruckt, war unser Blaubärt offensichtlich der Meinung, sich den für ihn landestypischen Fahrzeuggepflogengeiten anpassen und uns einige gewohnte Funktionen vorenthalten zu müssen. Auf alle Fälle waren sie plötzlich weg - die Gänge vier und fünf!
Hielt Dorit es anfangs noch für einen Scherz, so stellte sich doch schnell heraus, dass sich die Gänge weder durch gutes Zureden noch durch Nachdruck (am Schalthebel) wieder einlegen ließen. Was also tun?
Wir hatten gerade den kleinen Ort Junin de los Andes verlassen und waren mal wieder auf einer abgelegenen Schotterpiste unterwegs. Da wir nicht abschätzen konnten, ob es sich nicht um die Ankündigung eines noch größeren Problems handelt, fahren wir nach Junin zurück. Auf dem Campingplatz treffen wir zufällig zwei junge Argentinier, die auch einen VW-Bus haben. Sie bewundern den Bärt zwar ausgiebig, kennen aber auch keine Werkstatt oder jemanden, der sich mit VW-Bussen auskennt. Aber sie sind total hilfsbereit und finden heraus, dass es eine Gruppe von VW-Bus-liebhabern und -mechanikern gibt und empfehlen uns nach Bariloche oder Mendoza zu fahren. Bariloche ist die falsche Richtung und Mendoza über 1000km weit weg.
Das Grundproblem ist, dass unser Fahrzeugmodell in Südamerika nie verkauft wurde und somit weder Ersatzteile noch Werkstätten mit entsprechendem Knowhow vorhanden sind.
Zu allem Überfluss ist auch noch Samstagnachmittag. Die Touristen-Information nennt uns fünf Werkstätten, die wir alle abklappern, die aber entweder gar nicht in Frage kommen, weil sie z.B. nur Ölwechsel machen oder geschlossen sind. Außer der letzten, zu der wir um 17:30 Uhr kommen und die man eigentlich gar nicht als Werkstatt bezeichnen kann.
Es ist ein Gerümpelhof und der Mechaniker gibt sich weder zu erkennen noch Mühe, irgendwie mit uns zu kommunizieren. Das überlässt er einem Jungen, der dort scheinbar lernt.
Aber in dem Moment erscheint es uns als die letzte Möglichkeit, überhaupt Hilfe zu erhalten.
Im Dreck auf dem Boden kommen sie dann zu dem Schluss, dass es so nicht zu reparieren ist und dass Getriebeöl fehlt - und zwar eine ganze Menge. Doch auch das löst das Problem nicht.
Eigentlich sollten und wollten wir gehen. Doch dann machen sie einen zweiten Versuch, der vornehmlich darin besteht, dass der Mechaniker mit einem Hammer auf verschiedene Teile unter dem Bärt eindrischt. Dorit und mir ist ganz schlecht, doch wir wissen nicht wie bzw. ob wir dem Ganzen ein Ende bereiten sollen. Als dann die Arbeit getan und das Problem nicht zu lösen scheint, drücken wir ihm 500 AR in die Hand und wollen verschwinden.
Doch nun ist die Situation schlechter als zuvor: Der Rückwärtsgang funktioniert auch nicht mehr - wir kommen nicht vom Hof.
Unsere Verzweiflung wird immer größer und der Mechaniker haut weiter auf Bärt herum bis wir und die Dunkelheit ihn endgültig stoppen.
Als wir spät abends auf dem Campingplatz ankommen funktionieren nur noch der 4. und 5. Gang - sonst nichts. Die vermeintliche Reparatur hat alles viel schlimmer gemacht.
Am nächsten Tag gelingt es uns, zumindest den vorherigen Zustand wieder herzustellen (also Rückwärtsgang, ersten, zweiten und dritten Gang) und wir überlegen, was zu tun ist.
Es gibt nur 2 Möglichkeiten: Entweder hier in Junin zu einer anderen Werkstatt fahren oder uns mit 3 Gängen auf nach San Rafael und Mendoza zu machen, um dort in Ruhe während unserem Aufenthalt auf dem Weingut hoffentlich bei einem Fachmann eine Lösung zu finden. Wir entschließen uns für die zweite Option und starten noch am Nachmittag - im dritten Gang und mit Tempo 40.
Die Landschaft ist zu Beginn spektakulär, weicht dann aber immer mehr der öden, endlosen Pampa.
Zumindest ist unsere Laune besser, da eine Entscheidung gefallen ist, wir etwas tun können und 200 der bis San Rafael vor uns liegenden 1200 Km auch schon mal geschafft sind.
Die Geschwindigkeit von 40 Km/h führt nicht nur zu einer Zwangsentschleunigung auf unserer Seite, sondern leider auch dazu, dass wir zu einem Hindernis für alle anderen Verkehrsteilnehmer (insbesondere der LKWs) werden. Damit der Unmut auf deren Seite nicht zu groß wird, haben wir hinten an unserem Wagen ein "Erklärungs- und Endschuldigungsschild" angebracht.
Und siehe da, der Erfolg erstaunt uns selbst. Kaum einer hupt aggressiv oder zeigt uns den berühmten Stinkefinger - selbst im morgendlichen oder abendlichen Berufsverkehr nicht. Vielmehr gibt es ganz häufig geduldiges Warten, bis sich eine Überholmöglichkeit bietet, viel freundliches und aufmunterndes Hupen und Winken und oft auch richtige Begeisterung für unser Auto, unser Schild und unsere Geduld.
Es ist immer wieder erstaunlich, um wieviel entspannter und gelassener die Menschen hier sind. Und wieviel gelassener sie auch mit der Unzulänglichkeit anderer umzugehen wissen.
Und so erreichen wir inklusive eines Abstechers ins Valle Grande nach 11 anstrengenden Tagen, in denen wir aufgrund unserer eigenen geringen Geschwindigkeit die Unendlichkeit der Landschaften und Distanzen noch einmal verstärkt wahrnehmen, unser nächstes Ziel - das Weingut von Leo und Nati in San Rafael.
Unsere Hoffnung, hier oder in der nahe gelegenen Provinzhauptstadt Mendoza eine Werkstatt zu finden, die unser Getriebe reparieren kann, erfüllt sich leider nicht.
Selbst ein auf Oldtimer spezialisierter Mechaniker, der zweifelsohne über die notwendigen Fachkenntnisse verfügt, mochte das Getriebe nicht öffnen. Er ist sich sicher, dass die benötigten Ersatzteile in Argentinien nicht beschaffbar sind und der Austausch des kompletten Getriebes die beste Lösung.
Nach etlichen Recherchen verwerfen wir diese Möglichkeit, da die Beschaffung und Verschiffung eines Austauschgetriebes aus Deutschland aufgrund schwer zu überwindender Zollhürden weder zeit- noch kostenmäßig kalkulierbar sind.
Unser Rückflug nach Deutschland (zum achzigsten Geburtstag von Dorits Mutter) ist bereits gebucht, und so entschließen wir uns schweren Herzens, auch die 'restlichen' Kilometer bis Buenos Aires mit Hilfe der uns verbliebenen drei Gänge zurückzulegen und den Wagen von dort statt wie geplant in die USA zur Reparatur nach Deutschland zu verschiffen. Es ist die einzig sinnvolle Möglichkeit, auch wenn wir gezwungenermaßen unsere Route ändern müssen.
Nach insgesamt 2.300 Km zwangs-entschleunigtem Fahren mit 40 Km/h (dreimal die Strecke Hamburg-München) erreichen wir schließlich Zarate, den Frachthafen von Buenos Aires.
Uns fällt ein Stein vom Herzen. Es waren anstrengende Wochen, denn wir konnten nie ganz sicher sein, ob der gute Blaubärt nicht noch ganz liegen bleibt. Außerdem haben sie uns einige Übernachtungen auf Tankstellen beschert, weil der nächste Campingplatz einfach zu weit entfernt lag. Aber wir haben es geschafft.
Der Hafen von Zarate ist gigantisch, Massen an Autos stehen auf Parkplätzen soweit das Auge reicht. Permanent fahren riesige Autotransporter hin und her.
Trotz der einschüchternden Ausmaße und einiger Hürden haben wir nach einigen Stunden alle Formalitäten erledigt. Den Rest unserer Südamerika-Reise setzen wir nun hoffentlich entspannter und etwas schneller mit öffentlichen Verkehrsmitteln fort.